COVID19 Pearls vom 16.4.2020

Prof. Michael Christ, Luzerner Kantonsspital (Kontakt: michael.christ@luks.ch)

Die letzten Wochen der COVID19 Pandemie waren weltweit gepraegt durch Sorgen der Bevoelkerung wegen der SARS-CoV-2 Bedrohung, einer wirklich konstruktiven und unterstuetzenden  Zusammenarbeit in Patientenversorgung, Wissenschaft und Forschung, sowie dem Schutz der Bevoelkerung bzw. Arbeitnehmer (zumindest habe ich es so empfunden). Interessant finde ich, dass YouTube offensichtlich das bevorzugte Medium zwischenzeitlich ist, mit dem junge Menschen mit wichtigen Botschaften erreicht werden (https://www.nzz.ch/panorama/mai-thi-nguyen-kim-die-neue-rezo-geht-durch-die-decke-ld.1551892).  Zunehmend treten nun aber wieder politische Zielsetzungen in den Vordergrund (aktuellen Daten zu SARS-CoV-2 Infektionen aus China umstritten; Praesident D. Trump stoppt Zahlungen an die WHO und beschuldigt sie einer Mitschuld, https://www.nzz.ch/international/corona-krise-praesident-trump-stoppt-zahlungen-an-who-ld.1551822?reduced=true ). Mad world um es mit den Worten aus den 80er Jahren zu (https://www.80s80s.de/musik/songinfos/tears-for-fears-mad-world).

Wir haben zwischenzeitlich spitalweit den von der SGI empfohlenen Score zur Abschaetzung des Behandlungsortes bei Patienten mit COVID19 etabliert (https://www.sgi-ssmi.ch/de/covid19.html?file=files/Dateiverwaltung/COVID_19/Guidelines/IMSGCVCM_Triageempfehlungen_200318_DE.pdf). Dabei war aufgefallen, dass einige der Patienten mit hohen EWS-Score Werten keineswegs eine intensivmedizinische Behandlung benoetigen. Die British Geriatric Society hat sich explizit gegen derartige "Standardisierungen" geaeussert, die in der Financial Times publiziert wurde. Sie fordert weiterhin eine individuelle Risiko- und damit Behandlungsabschaetzung (https://www.bgs.org.uk/policy-and-media/bgs-responds-to-tool-published-in-the-financial-times-on-sunday-12th-april). Wir vermuten, dass der von der SGI empfohlene Score zu sehr das Alter der Patienten beruecksichtigt. Nun, das war Anlass, sich mit diesem von der SGI empfohlenen Score weiter zu beschaeftigen. Ueberrascht war ich sehr, dass es sich um einen Expertenentscheid handelt, der von einem chinesischen Expertenentscheid abgeleitet wurde (https://link.springer.com/article/10.1007/s00134-020-05954-2). Fuer mich bedeutet dies, dass bei der Verwendung des Scores grosse Achtsamkeit und Sorgfalt angewendet werden muss.

Es gibt ueber 30 verschiedene "Early Warning Scores" (auch "Track und Trigger Systeme" genannt; https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/28993097). Die vom Normalwert festgestellten Abweichungen von routinemaessig erhobenen Vitalparametern wird zu einem Score aufgerechnet. Je hoeher der Score-Wert, umso unguenstiger ist die Kurzzeitprognose. Herausfordernd auch in der Schweiz ist, dass wir hier keine gemeinsame Sprache sprechen. Das britische "Royal College of Physicians" hat sich hier auf ein System mit hoher prognostischer Genauigkeit verstaendigt. Das "NEWS2 System" (uebrigens ein Teil des oben zitierten chinesischen COVID19 spezifischen System) wird in Grossbritannien landesweit empfohlen.  

Aus meiner Sicht optimal waere, wenn wir fuer die Zeit nach der COVID19 Herausforderung ein validiertes, einheitliches Instrument zur Erkennung von "Intensivpflichtigkeit" bzw. "raschen Handeln" von Patienten praehospital und hospital haetten.  NEWS2 ist sicherlich am Besten in der Literatur evaluiert und validiert, weist eine hohe praediktive Vorhersagekraft auf und ist auch in der operationalen Umsetzung bestens geeignet (https://www.rcplondon.ac.uk/projects/outputs/national-early-warning-score-news-2). Ideal ist, dass dieses Instrument auch in der Praeklinik (Rettungsdienst) untersucht ist und damit auch eine prae-hospitale Abschaetzung der Behandlungsdringlichkeit moeglich waere. Die Einbeziehung des ALTERS in einen "Early Warning Score" fuehrt zu einer "Verwaesserung" der praediktiven Genauigkeit (https://www.rcplondon.ac.uk/file/8504/download , siehe Diskussion zur Arbeit von Smith; https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/23295778). Eine aehnliche hohe Vorhersagekraft wie der NEWS2 weist der MEWS auf. Der Nachteil beim MEWS ist, dass die Urinausscheidung beruecksichtigt werden muss. Dies duerfte mit Schwierigkeiten in der taeglichen notfallmedizinischen Arbeit verbunden sein. Vorteilhaft waere, bei der Einschaetzung von akuten Erkrankungen eine "einheitliche Sprache" zu sprechen (siehe auch Text des Royal College of Physicians, https://www.rcplondon.ac.uk/file/8504/download). Auch die Schulung des aerztlichen und nicht-aerztlichen Personals koennte damit vereinheitlicht werden kann.

Lasst mir doch Eure Gedanken und Ideen zukommen, ich wuensche Euch eine schoene Restwoche,

Herzlich

Euer Michael Christ